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Schüler im achtjährigen Gymnasium Durchkommen, irgendwie

Gut für die Staatskasse, schlecht für die Schüler: Nicht nur in Bayern steht G 8 in der Kritik

Seit Jahren wird am G 8 herumgedoktert - aber nicht, um den Schülern zu helfen. Sondern um Statistiken zu retten. Zwar sind wir nun ein Jahr jünger, wenn wir die Schule verlassen, aber dieses eine Jahr fehlt uns in vielerlei Hinsicht: zur Vertiefung von Wissen, zur Vorbereitung aufs Abitur - und nicht zuletzt auch zur Orientierung, was wir nach der Schule machen wollen.

Ein Gastbeitrag des Abiturienten Markus Freitag

Vier Monate noch, dann bin ich fertig. Wie die bayerischen Mitschüler der zwölften Jahrgangsstufe werde ich im Juni erfahren, ob ich das Abitur bestanden habe. Dann werde ich auf acht Jahre Gymnasium zurückblicken, das sogenannte G 8. Politiker und "Experten" führen seit Jahren öffentliche Diskussionen, ob und wie das System überarbeitet werden sollte. Sie vergessen dabei aber konsequent, die Meinung derer einzuholen, die direkt betroffen sind: wir Schüler.

Die Vorteile scheinen offensichtlich zu sein, zumindest für den Staat. Nach einer achtjährigen gymnasialen Ausbildung treten die Schulabgänger schneller ins Berufsleben ein, verdienen schneller Geld und sind nicht von staatlichen Leistungen abhängig. Schule kostet Geld, und Geld ist knapp. Zwei Probleme auf einmal gelöst, könnte man meinen - einerseits sind weniger Lehrer zu bezahlen und Schüler mit weniger Material zu versorgen als einst, andererseits wird die Staatskasse früher durch die Einzahlungen der jüngeren Berufstätigen gefüllt.

Soweit die Theorie. Die Praxis ist jedoch weniger erfreulich. Eine Beobachtung, die ich in den vergangenen acht Jahren gemacht habe, ist, dass es eine extreme Spannbreite bei den Noten gibt. Es gibt Schüler, die mit guten Arbeiten glänzen können, aber die meisten kommen einfach irgendwie immer durch, nie aber mit guten Noten.

Noten werden montiert

Weil im G 8 mehr zu Hause gearbeitet werden muss als im G 9, weil der Stress insgesamt größer und der Lehrplan enger ist - deshalb sollte man eigentlich höhere Quoten von Durchfallern erwarten, und mehr Schüler, die die Schule noch vor dem Abi verlassen. So ist es aber nicht gekommen. In acht Jahren haben nur drei meiner Klassenkameraden wegen schlechter Noten freiwillig die Klasse wiederholt. Auch in den Parallelklassen war die Zahl nicht höher.

Zwar wird uns nach beinahe jeder Prüfung gesagt, wie schlecht die doch ausgefallen sei. Letzten Endes aber wird alles dafür getan, dass alle Schüler durchkommen: Noten werden so montiert, dass sie nicht so desolat erscheinen, wie es zum G 8 passen würde. Ein Beispiel dafür ist die Änderung der Gewichtung mündlicher und schriftlicher Noten in der Oberstufe.

Anders als im G 9 zählen die schriftlichen Arbeiten inzwischen nicht mehr doppelt so viel wie die mündlichen Prüfungen, sondern genauso viel. Das lässt mehr Raum zum Ausbügeln schlechter schriftlicher Noten. Die waren ganz offensichtlich so zahlreich, dass nachjustiert werden musste.

Um eine bundesweit vergleichbare Abschlussprüfung zu testen, mussten wir im Herbst länderübergreifend in den Fächern Deutsch, Mathe und Englisch eine sogenannte Übungsklausur, ein "Probeabitur", schreiben. Die Vorbereitung darauf nahm viele Stunden in Anspruch, die den Lehrern aufgrund der eng getakteten Lehrpläne eigentlich nicht zu Verfügung stehen. Jeder Schüler sollte ursprünglich wählen können, ob er das Ergebnis als Großen oder als Kleinen Leistungsnachweis gewertet haben wollte. Dann allerdings fielen die Klausuren im Freistaat katastrophal schlecht aus. Kurzerhand durften wir Schüler daraufhin nicht nur entscheiden, wie die Klausur gewertet werden sollte, sondern auch: ob überhaupt. So wurde immerhin die Statistik gerettet.

Versuchskaninchen des Kultusministeriums

Durch solche - immer wieder stattfindende - Aktionen hat sich über die Jahre gezeigt, dass wir eher Versuchskaninchen des Kultusministeriums sind als die Schüler, für die Schule gemacht werden sollte. Denn die Wahlfreiheit, die man uns nach dem Probeabitur einräumte, zog ja eine weitere Konsequenz nach sich: Wer das Probe-Abi aus der Wertung nahm, dem fehlte nun noch ein Leistungsnachweis. So wurden viele Lehrer gezwungen, bei diesen Schülern neue mündliche Noten einzuholen - was kurz vor Notenschluss eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit war. Folglich wurde der Notenschluss vom 21. auf den 30. Januar verlegt.

Um den hohen Druck zu reduzieren, dem auch die Lehrer in der Oberstufe ausgesetzt sind, wurden die Lehrpläne bereits gekürzt. Das beweist zwar guten Willen, geht aber am Ziel vorbei. Um den Druck zu reduzieren, wird auf Qualität im Unterricht verzichtet: Denn trotz der gekürzten Lehrpläne bleibt kaum Zeit, auf Fragen der Schüler einzugehen. Immer wieder höre ich Sätze wie "Dazu ist jetzt keine Zeit" oder "Wir liegen schon so viele Stunden zurück."

Es ist zwar schön, dass die Verantwortlichen Einsatz zeigen, um gegen die schlechten Noten und damit die Gefahr des Wiederholens einer Jahrgangsstufe anzukämpfen. Doch auch hier ist der Ansatz vollkommen falsch. Insgesamt wird auf Anspruch und Qualität immer mehr verzichtet, um das G 8 zu retten. Schüler müssten aber unterstützt werden, indem die Lehrer auf ihre Fragen eingehen können. Es ist doch besser, nachhaltiges Wissen zu schaffen, das den Schülern auch hinterher noch etwas bringt, als schlechte Noten schönzurechnen.

Keine Zeit für tief schürfenden Unterricht

Im neunjährigen Gymnasium war für den Wissensdurst von Schülern zudem eine Institution vorhanden: Sie konnten ihre Interessen bei der Wahl von Leistungskursen berücksichtigen und sich dort intensiv mit den Themen auseinandersetzen, die sie interessierten. Im G 8 mit seinen nur zwei Jahren Oberstufe ist weder für individuell passende Behandlung noch für tief schürfenden Unterricht Zeit.

Wären tatsächlich das Wohl der Schüler und eine gute Ausbildung das oberste Ziel, wäre die einzig logische Konsequenz, die Schulzeit wieder um ein Jahr zu verlängern. Zwar sind wir Schüler nun ein Jahr jünger, wenn wir die Schule verlassen, aber dieses eine Jahr fehlt uns in vielerlei Hinsicht: zur Vertiefung von Wissen, zur Vorbereitung aufs Abitur und nicht zuletzt auch zur Orientierung, was wir nach der Schule machen wollen.

Trotz der Berufsorientierung, der in der aktuellen Oberstufe bereits etwas Zeit eingeräumt wird, ist die Unsicherheit bei der Wahl von Studium oder Beruf doch sehr groß - wir haben eben kein Themengebiet wirklich vertiefen können. Was nutzen Schüler, die nach dem Abitur ein Jahr jünger sind als früher, die aber nicht wissen, wie es weitergehen soll?

Wenn ich nach dem Abitur auf meine Schullaufbahn zurückblicke, blicke ich auf eine Zeit in einem System zurück, das zu wenig Zeit hat für guten Unterricht - und das zwar korrigiert worden ist, um Erwartungen zu erfüllen und in Statistiken ein gutes Bild abzugeben, aber nicht den Zweck hatte, den Schülern gute Bildung zu vermitteln. Durch die Wiedereinführung eines weiteren Jahres würde dieses Schicksal zumindest nachfolgenden Schülern erspart.

Markus Freitag, 18, besucht die 12. Jahrgangsstufe des Gymnasiums Olching, Oberbayern.

http://www.sueddeutsche.de/bildung/schueler-im-achtjaehrigen-gymnasium-durchkommen-irgendwie-1.1893480

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Ein Gespräch mit dem Erziehungswissenschaftler Professor Dr. Volker Ladenthin von der Universtität Bonn sowie dem Fachdidaktiker Professor Dr. Hans Peter Klein von der Goethe Universität in Frankfurt für Hamburgs schulpoltischen Blog „Kirschsblog“

 

Kirschsblog: Sie sind als Universitätsprofessoren gegen G8?
Professor Ladenthin: Darf ich mit einer schlichten Gegenfrage antworten: Welchen Sinn macht es, Abiturienten an der Universität einzuschreiben, die zuerst Vor- oder Brückenkurse an der Universität absolvieren müssen, damit sie überhaupt mit dem Studium beginnen können? Was soll dann noch das Abitur? Inzwischen richten fast alle Fächer Kurse zwischen gymnasialer Oberstufe und Universität ein. Es entsteht gewissermaßen eine neue Schulart: Die Vor-Uni. Kollege Volkmar Gieselmann, Prorektor für Studium, Lehre und Studienreform an der Uni Bonn (und Naturwissenschaftler), sagt das ganz konkret: “Man muss die Lehrpläne in den Schulen besser auf die Bedürfnisse der Hochschulen abstimmen, Brückenkurse beibehalten“.
Professor Klein: Ich kenne eigentlich kaum jemand mit sachlichen oder pädagogischen Argumenten für G8 und gegen G9. Auch in Hamburg ist – wie in vielen anderen Bundesländern – die eigentliche Argumentation doch eine ganz andere: die Stadtteilschulbefürworter wollen das Alleinstellungsmerkmal G9 für sich beanspruchen, weil sie ihren Bestand befürchten, wenn den Gymnasien ebenfalls G9 zugesprochen werden sollte. Außerdem würden auf Dauer die Gymnasien bei G8 an Nachschub verlieren und könnten dann in den Stadtteilschulen aufgelöst werden, so das erklärte Ziel der Befürworter einer Einheitsschule. Die Gymnasialvertreter sind sich da mit den Linken überraschend einig, allerdings aus einem anderen Grund: ein G9 für die Gymnasien würde den weiteren ungebremsten Zulauf auch leistungsschwacher Schüler dorthin verstärken.

 

Kirschsblog: Aber ist G8 nicht auch ein Sparprogramm? Es hilft Steuern sparen.
Prof. Ladenthin: Mir ist unklar, wie man das rechnet: Wenn Studierende nunmehr von kostspieligen Hochschullehrern improvisiert das beigebracht bekommen, was Lehrer im ökonomisch günstigeren Schulzusammenhang nicht mehr lehren konnten, weil die Zeit zu knapp war – wo wird da gespart? Es ist die gleiche Lernzeit – nur sind die Lehrkräfte wesentlich teurer. Und die Gesamtausbildungszeit bleibt wie zuvor. Ganz im Gegenteil scheinen immer mehr G8 ler zuerst einmal ein Auslandsjahr oder ähnliche Aktivitäten einzuschieben, was sicherlich vom Bildungsgedanken her zu begrüßen ist.
Prof. Klein: Die Bildungsökonomen haben doch spätestens seit PISA und Bologna den Politikern ins Ohr geflüstert, das gesamte Konzept sei effizienter und helfe, die Bildungsausgaben ökonomischer zu handhaben. Die ursprüngliche Annahme, dass entsprechend dem anglo-amerikanischen Vorbild ca. 80% der Studierenden nach G8 nur den 6-semestrigen Schmalspur-Bachelor machen sollten und nur 20% den wissenschaftsorientierten Master, hat sich doch längst in Luft aufgelöst. Auch in den USA ist man nicht glücklich, dass 17-Jährige unreife Schüler die Colleges oder Unis stürmen und hätte gerne ein 13. Schuljahr, das aber in den USA kein Bundesstaat bezahlen kann oder will. Die Bildung wird spätestens nach der High School privatisiert. Dennoch räumt man dort den G8 „Freshmen“ eine Art Studium Generale während der ersten beiden Semester ein – ganz im Humboldtschen Bildungsgedanken. Daher dauert der Bachelor in den USA auch 8 Semester und hat eine ganz andere Qualität, auch für die dortigen Abnehmer der Absolventen.

 

Kirschsblog: Nun zeigen aber empirische Untersuchungen, dass G8 und G9-Schüler die gleichen Kompetenzen haben.
Prof. Klein: Welche empirischen Untersuchungen zeigen was? Wenn eine Essener Forschergruppe mittels Befragung Erstsemester nach ihrem schulischen Befinden in ihrer G8 oder G9 Entwicklung keine großen Unterschiede feststellt – welche hätte man da auch erwarten sollen? – heißt dass noch lange nicht, dass G8 besser ist als G9 und diese Aussage ist dort auch keineswegs so getroffen worden. Die einzige Studie, die behauptet, dass G8 Abiturienten des Jahrgangs 2011 im direkten Vergleich mit G9 Abiturienten des Jahrgangs 2005 trotz deutlicher Erhöhung der Abiturientenzahl in diesem Zeitraum auch qualitativ bessere Leistungen erbracht hätten und dies ein Erfolg von G8 sei, ist die Hamburger behördenintern durchgefühte KESS Studie 12. Die dort eingesetzten Testinstrumente aus den Naturwissenschaften und der Mathematik haben wir mit Fachmathematikern ausführlich qualitativ untersucht. Unsere Untersuchungen widerlegen diese Aussagen von KESS 12 eindeutig. G8 Turbo Abiturienten lernen keinesfalls besser, wie damals in der Presse zu lesen war. Der tatsächliche Grund für diese Entwicklung war eine klare Nivellierung der Ansprüche im Abitur in diesem Zeitraum.
Prof. Ladenthin: Außerdem muss man fragen, welche Kompetenzen dass denn sein sollen. Keinesfalls die Fähigkeiten und Kenntnisse, die man zum Studieren braucht. Ich kann Ihnen anhand von Klausuren der letzten 3 Jahre belegen, dass bei völlig gleichen Ansprüchen die Ergebnisse schlechter werden – obwohl ich in der Lehre immer mehr Zeit auf Klausurvorbereitung verwende. Fähigkeiten, die vor ein paar Jahren die Mehrheit der Studierenden hatten, fehlen heute völlig.

 

Kirschsblog: Welche zum Beispiel?
Prof. Ladenthin: Eigenständige Textanalyse. Textwiedergabe. Strukturierte Zusammenfassungen. Beschreibung von einfachen Vorgängen (Versuchsaufbau). Eigenständige Formulierungen antinomischer, paradoxer oder multikausaler Zusammenhänge.
Prof. Klein: Die Fähigkeit zu kritischer Reflexion fehlt völlig. Die Bachelorisierung steht da G8 in nichts nach. Selbstständiges Denken oder Hinterfragen ist unerwünscht. Alles, was nicht für die Klausur relevant ist, bekommt den Stempel des Unnützen, wie in G8 auch. Also weg damit. Entsprechend haben insbesondere die G8 Absolventen – aber nicht nur – eine Kompetenz: Augen zu und durch. Das kann ich Ihnen aber auch bei den Vorgaben nicht verdenken.

 

Kirschsblog: Und wie erklären Sie sich das?
Prof. Ladenthin: Zwei Gründe sehe ich. Die Studierenden sind so jung, dass bestimmte kognitive Operationen noch nicht geleistet werden können. Abstraktionsfähigkeiten fehlen deutlich. Das ist ein Entwicklungsproblem. Zudem scheint Schule auf Grund des Zeitmangels eben diese Fähigkeiten, die man nur in einem längeren Zeitraum schulen kann, nicht mal so eben für eine Klausur, nicht mehr zu lehren. Offensichtlich fehlt die Zeit für gründliches Lernen.
Klein: Auch hat doch gerade G8 zweifelsfrei dazu geführt, dass Fakten in noch kürzerer Zeit und ohne die dringend notwendige Wiederholung zu einer Art Bulimie Lernen sondergleichen geführt hat. Für ein verstehendes Lernen und kritisches Hinterfragen bleibt da keine Zeit mehr.

 

Kirschsblog: Sind die Studenten also schlechter als früher?
Prof. Ladenthin: Nein, sie sind liebenswürdig, freundlich, fleißig, bemüht – aber sie werden dann an der Uni zugleich völlig frustriert, und zwar ganz tief frustriert, wenn sie merken, dass sie trotz teilweise sehr guter Abiturnoten schon in den Grundlagenkursen nicht mehr folgen können. Ihnen fehlt es an Arbeitstechniken, an kognitiv-sprachlichem Vermögen und an anspruchsvollen kognitiven Operationen, die die Wissenschaften heute abverlangen. Und vor allem an Wissen. Sie kennen die Bildsprache unserer Kultur nicht mehr. Sie haben nichts von dem wirklich gelesen, was unserer Kultur Identität gibt.
Prof. Klein: Die jungen Studierenden sind nicht schlechter, aber deutlich unreifer. Entsprechend haben wir zunehmend mit helicopter parents zu tun, wie man sie aus den USA kennt. Allerdings erlauben gute und sehr gute Colleges in den USA nicht, dass die „Freshmen“ zu Hause bei ihren Eltern wohnen oder von dort dauernd betreut werden, was übrigens ein weltweites Phänomen ist. In den ersten beiden Semestern müssen sie im College wohnen, um ihre soziale Kompetenz und ihre neue Umgebung selbstständig entwickeln bzw. erfahren zu können. Da sind die Amerikaner, uns weit überlegen. Auch in China sind die jungen „Freshmen“ erst einmal froh, an der Uni der Knute ihrer Eltern erstmal entkommen zu sein. All das kostet natürlich dort für die Studierenden oder deren Eltern eine für uns unvorstellbare Summe an Dollar.

 

Kirschsblog: Aber die Grundkompetenzen sind doch vorhanden.
Prof. Ladenthin: Ich weiß nicht, was man darunter verstehen soll. Ich weiß nur, dass Abstraktion, Analyse und Synthese kognitive Operationen sind, die in den Wissenschaften unverzichtbar sind und von den heutigen G8 Studierenden nicht mehr eigenständig erbracht werden könnten. Nicht mal Hilfen helfen – und zwar deshalb, weil die kognitive Entwicklung der Studierenden noch nicht so weit entwickelt ist, dass diese Operationen möglich sind. Man kann und konnte das bei Piaget in allen Einzelheiten nachlesen, warum das so ist – und was man machen kann, um hier Abhilfe zu schaffen. Ein Jahr Schule mehr gibt mehr Raum zur Entwicklung und zum Üben von kognitiven Operationen. Eine entwicklungspsychologisch argumentierende Schulplanung wird das berücksichtigen. Stichwort: Gehirngerechtes Lernen.
Prof. Klein: Bei den Kompetenzen muss man erst einmal fragen, ob es sich um fachunabhängige Schlüsselkompetenzen und fachgebundene Kompetenzen handelt und nur letztere waren eigentlich in den Bildungsstandards an oberster Stelle eingefordert. Das Blatt hat sich gewendet. Es scheint Bundesländer zu geben – Hamburg gehört wohl dazu – die ganz im bildungsökonomischen Sinne den Schwerpunkt in der Schule mehr oder weniger ausschließlich auf Schlüsselkompetenzen legen. Wie leichtfertig hier vor allem mit grundlegenden Wissensbeständen verfahren wird, zeigen die neuen Präsentationsprüfungen im Abitur, die in Hamburg selbst in der zweijährigen Vorbereitungsphase als Ersatz insbesondere für Klausuren durchgeführt werden können, in denen man – beispielsweise in Mathematik – mehr oder weniger schwache Leistungen zu verzeichnen hat. Fachliche Mängel zu kaschieren und als Kompetenz auszuweisen scheint der neue Hit in der in der Tat an kreativen Konzepten nicht mangelnden Vertreter der zuständigen Behörden zu sein. Die Abiturienten tun mir leid: außer in den Sprachen oder der Religion gibt es keinen einzigen Fachbereich an einer Universität, der nicht mathematische Grundlagen auf teilweise hohem fachlichen Niveau als Voraussetzung verlangt. Scheitern vorprogrammiert.

 

Kirschsblog: Aber brauchen wir nicht jüngere und mehr Abiturienten?
Prof. Ladenthin: Was wir brauchen, sind gute Abiturienten. Nicht das Plansoll gibt die Zahl der Abiturienten vor, sondern umgekehrt: ein Leistungsstandard zeigt, wie viele Abiturienten wir haben. Man kann Menschen nicht durch Zielvereinbarungen klüger machen. Die NRW Landesregierung hat auf eine Anfrage der Opposition angegeben, dass sich die Zahl der 1er Abiturzeugnisse in NRW zwischen 2007 und 2011 sogar verdoppelt hat. Wenn das so weiter steigt, haben in einigen Jahren alle Abiturzeugnisse die Note 1.
Klein: Gerade Hamburg präsentiert ja seit geraumer Zeit immer weiter steigende Abiturientenquoten bei angeblich gleichzeitig steigenden Leistungen und gekürzter Schulzeit. Hamburg steht damit keineswegs allein. Einige verantwortliche Vertreter – wie die Bertelsmann-Stiftung – scheinen genau das zu wollen und empfinden diese Entwicklung als sozial gerecht. Da sei die Frage erlaubt, was daran sozial gerecht ist, wenn man Inkompetenzen als Kompetenzen ausweist. Gedient ist damit sicherlich niemandem.

 

Kirschsblog: Ihre Forderung?
Prof. Klein: Wenn wir eine qualitativ hochwertige Bildungsexpansion wollen – immer im Blick habend, dass dieser natürlichen Grenzen, wie beispielsweise der Intelligenz, gesetzt sind – müssen wir mehr Schülern mehr Zeit lassen, ihre möglichen Defizite durch ein verstehendes Lernen ohne Zeitdruck mit genügend Wiederholungen aufzuarbeiten. G8 führt uns da ins genaue Gegenteil, zumal auch an den Gymnasien die Heterogenität der Schülerschaft in den letzten Jahren dramatisch zugenommen hat.                                                                                                                                                        Prof. Ladenthin: Mehr Zeit für Schule. Mehr Bildung – und nicht beziehungslose Kompetenzschulung. Die nützt niemandem. Wir leben länger, im Durchschnitt fast zwanzig Jahre länger als noch vor 40 Jahren – also haben wir auch mehr Zeit für die schulische Ausbildung. Wer das nicht möchte, kann Klassen überspringen, sich vorzeitig zum Abitur melden oder schon während der Schulzeit studieren: da gibt es genügend Modelle. Für die große Zahl benötigen wir mehr Zeit. Kurz: G9 ist das bessere Modell.

 

Volker Ladenthin lehrt als Hochschulprofessor für Historische und Systematische Erziehungswissenschaft an der Universität Bonn.

 

Siehe auch: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.06.2014:  Bildungsdefizite durch verkürzte Schulzeit: G8 wird die Studienzeit verlängern 

 

Professor Dr. Hans Peter Klein, Lehrstuhl für Didaktik der Biowissenschaften an der
Goethe Universität Frankfurt.

 

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